Die hohe Lebensqualität in Südtirol, die natürlich auch Unternehmer und Manager genießen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß große Industriefirmen um die Zukunft des Standortes für ihre Werke in Südtirol bangen. Da Industriebetriebe im Konkurrenzkampf mit Wettbewerbern aus der halben Welt stehen, müsse der Standort Südtirol seine Stärken ausbauen und Schwächen verringern. Dies trat auf einer Aussprache zutage, wozu der Präsident des Unternehmerverbandes, Christof Oberrauch, die größten Mitgliedsfirmen des Verbandes kürzlich geladen hatte.

Die Unternehmer können nicht verstehen, wieso in mancherlei Hinsicht die Industrie heute noch in Südtirol wie ein "ungeliebtes Kind" behandelt wird. Vielfach werde einfach verkannt, wie hoch der Beitrag der Industrie zur Vollbeschäftigung ist, aber auch zur Arbeit für alle Qualifikationsstufen bis zum Akademiker, zur Wohlstandssicherung, zum Steueraufkommen und damit zur Finanzausstattung des Landeshaushalts. Einhellig äußerten die Inhaber bzw. Rechtsvertreter der größten Firmen (mit jeweils über 250 Mitarbeitern) Unverständnis darüber, daß die Politik die spezifischen Anforderungen an einen modernen Industriestandort nur mangelhaft wahrnehme.

Beispiele unter vielen: Die Behördenwege und Genehmigungsverfahren - sei es bei Betriebserweiterungen wie bei der Innovationsförderung - sind im Vergleich zu Konkurrenzländern unglaublich langwierig, kompliziert und schlecht geregelt. Statt Steuern (und damit auch Subventionen) zu senken, werden neue Steuern, wie die Baukostenabgabe, eingeführt oder die Pflegesteuer diskutiert; ja, die Strafsteuer IRAP auf Arbeitsplätze werde partout nicht gesenkt. Die Stadt Bozen nutze die Abfallgebühr gegenüber Gewerbebetrieben als bequeme Steuerquelle. Wenn ein Unternehmer auf seinem eigenen Grund und Boden für Mitarbeiter, die beim sozialen Wohnungsbau ausgeschlossen werden, Wohnraum errichten möchte, dann verbietet ihm das sogar die Standortgemeinde, die seine eigene Heimatgemeinde ist.

Die Unternehmer bedauerten, daß es auf Landesebene an einer Vision mangele: Wo soll Südtirol in 10, in 20 Jahren stehen? Wenn man die Erfordernisse der Industrie zu wenig ernst nehme, so werde diese Industrie dem Land langsam und still den Rücken kehren: Produktionsanlagen würden zuerst verlagert; die Verwaltungsabteilungen folgten, und schließlich sei der Hauptsitz, an dem bisher die Steuern hier im Lande bezahlt werden, überfällig. In Zeiten der Globalisierung und des weltweiten Konkurrenzkampfs betreffe die De-Industrialisierung schon heute in Südtirol sowohl Familieninternehmen als auch die hiesigen Tochterfirmen ausländischer Konzerne. Bis dato sei es vielen Fabriken noch gelungen, dank der Arbeitsamkeit und Willigkeit der tüchtigen Belegschaft im Konkurrenzkampf den Standort Südtirol zu halten. Aber nun seien die Rationalisierungspotentiale erschöpft. Nun hänge vieles von der Politik ab, ob sie die Rahmenbedingungen verbessert.

Die Unternehmer beklagen - wenn sie Vergleiche mit Konkurrenzländern anstellen -, daß der Strom hierzulande um 35 Prozent teurer ist als in den Nachbarländern, wo Atomstrom ins Netz gespeist wird. Grund und Boden habe einen prohibitiv hohen Preis, was Erweiterungen erschwere, von Neuansiedlungen zu schweigen; wozu eine Betriebansiedlungsagentur BLS? Wozu ständig neue öffentliche Einrichtungen mit noch mehr öffentlich Bediensteten, welche - insbesondere bei technischen und Verwaltungsberufen - der Privatwirtschaft ohnehin fehlten?

Sehr wohl wissen es die Großunternehmer zu schätzen, daß Südtirol eine vergleichsweise hervorragende Lebensqualität für die Familien, für Führungskräfte und für die Mitarbeiter schlechthin bietet. Die europaweit hohen Standards etwa im Bildungs- und Gesundheitswesen, bei Natur- und Umweltschutz sowie im Freizeitbereich anerkennen die Unternehmer ausdrücklich und vorbehaltlos. Die Industriellen würdigen den politischen Mut der Landesregierung, selbst gegen den Widerstand von Gegnern vernünftige Infrastrukturen zu verwirklichen: die Staatsstraße Forst-Töll wird entschärft, die Nordwestumfahrung in Meran gebaut, die Pustertaler Straße ausgebaut, Brixen erhält eine bessere Verkehrsanbindung, der Flugplatz in Bozen eine längere Landebahn, der Brennerbasistunnel wird vorangetrieben und in die Seitentälern werden virtuelle Datenautobahnen angelegt.